Neuraltherapie

Bei der Neuraltherapie gibt man eine meist oberflächliche Spritze mit einem örtlichen Betäubungsmittel, wie z. B. beim Zahnarzt. Aber jetzt ist nicht die Betäubung das Ziel, sondern das Mittel soll chronische Fehlregulationen verbessern. Das können chronische Entzündungen oder gestörte Nerven sein. Man nennt diese Behandlung auch therapeutische Lokalanästhesie.

Ich verwende die Neuraltherapie hauptsächlich, um als Zahnarzt Zahnherde und um als Heilpraktiker Narben zu entstören.

Ich kenne vier Wirkungsmechanismen.
1. Die meisten normalen Lokalanästhetika werden mit einem Zusatz von Adrenalin oder anderen gefäßverengenden Mitteln verwendet. So will man die Durchblutung vermindern, damit das Betäubungsmittel länger am Ort bleibt und die Betäubung lange genug wirkt. In der Neuraltherapie ist es umgekehrt. Hier nutzt man die gefäßerweiternde Wirkung des Anästhetikums. Damit wird künstlich genau das erreicht, was eine natürliche akute Entzündung auch will: Eine stärkere Durchblutung soll mehr Abwehrstoffe zuführen und mehr blockierende Abfallstoffe wegschaffen.

2. Die Methode heißt ja Neuraltherapie, weil sie die Nerven behandelt.. Der gesunde Nerv hat von seiner Mittelachse zur Außenseite eine elektrische Spannung von 70 mV (Millivolt). In einem chronisch kranken Gewebe können die überreizten Nerven eine falsche elektrische Spannung haben, z. B. nur 60 mV statt 70 mV. So können sie zwar auch arbeiten, aber nicht richtig. Das Neuraltherapeutikum (Procain, Lidocain, Ultracain D u. a.) macht hier etwas ähnliches wie ein Reset (Neustart) beim Computer: Es fährt die Spannung von 60 mV auf Null herunter, und beim Neustart – wenn das Mittel nicht mehr wirkt – hat das System eine gute Chance, nach dieser Pause wieder auf die richtige Spannung von 70 mV hochzufahren. So können die Nerven wieder besser arbeiten und das Entzündungsgeschehen besser steuern.

3. Die Neuraltherapie ist eine Reiztherapie, ähnlich wie die Akupunktur oder eine Kneipp-Kur. Letztere ist eine unspezifische Reiztherapie, die Neuraltherapie ist eine spezifische Therapie, sie wirkt auf spezielle Reflexbahnen innerhalb des Segments, über das Rückenmark zu den Organen und Muskeln. Etwas Ähnliches machen wir, wenn wir bei Bauchweh eine Wärmflasche auf den Bauch legen. Die Wärme wirkt dabei nicht direkt auf die Bauchorgane, dazu haben auch dünne Menschen zu viele Isolierschichten dazwischen. Die Wärme reizt vielmehr die Haut, diese gibt die Information an das Rückenmark weiter, das leitet den Reiz an die inneren Organe und bewirkt eine Veränderung.

4. Procain, das erste und weiterhin beliebte Neuraltherapeutikum, wirkt nicht nur in der Form, wie es gespritzt wird. Seine Metaboliten (die Abbauprodukte, die entstehen, wenn die Substanz im Stoffwechsel zerlegt wird) haben eine eigene Wirkung auf Herz, Kreislauf und Nerven, die sich in einer deutlichen Vitalisierung des Patienten zeigt.

Die Neuraltherapie kann man diagnostisch nutzen: Bessert sich z. B. der Knieschmerz, dann ist bewiesen, dass der Ort der Injektion, z. B. der angespritzte Zahn oder die Narbe, ursächlich für den Knieschmerz verantwortlich ist.
Therapeutisch nützt die Neuraltherapie auch: In günstigen Fällen wird die Einspritzung ein paarmal wiederholt, bis der Schmerz nicht mehr wiederkommt. Wir sagen dann: Der Herd ist entstört.

Lange Zeit war die Neuraltherapie ein von der Schulmedizin nicht an erkanntes Naturheilverfahren. Vor einigen Jahren hat man sie offiziell anerkannt und in den Fragenkatalog für das medizinische Staatsexamen aufgenommen.

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